Warum Sie die Bedeutung von Interkulturalität für Ihre Organisation kennen sollten!

Warum Sie die Bedeutung von Interkulturalität für Ihre Organisation kennen sollten!

11.6.2021

Interkulturalität– Eine Frage der Perspektive

Das Thema Interkulturalität nimmt in der heutigen Zeit eine immer grössere Bedeutung ein. Kein Wunder, so arbeiten im Zuge der Globalisierung immer mehr Menschen in multinationalen Unternehmen oder internationalen Teams. Während das internationale Team einige Vorteile bringt, wie Perspektivenvielfalt und Lernen durch Austausch, birgt es für die Unternehmen auch Herausforderungen. Oft kommen Mitarbeitende aus unterschiedlichen Ländern sprechen teilweise andere Sprachen und legen diverse Arbeits- und Verhaltensweisen an den Tag. Da kommt es nicht selten vor, dass Missverständnisse und Konflikte aufkommen, die zu Lasten der Produktivität, Kreativität und dem Arbeitsklima gehen können.

Team aus Vogelperspektive I Quelle: canva.com

 

Eine zweite Perspektive von Interkulturalität hat weniger mit der Herkunft oder nationalen Kulturen von Mitarbeitenden und viel mehr mit dem Fachbereich oder dem Berufsprofil zu tun. Auch zwischen unterschiedlichen Fachbereichen kann es zu Reibungen und Konflikten kommen und das aus ganz ähnlichen Gründen wie oben beschrieben. Warum man auch hier von Interkulturalität sprechen sollte und nicht nur von Interdisziplinarität klären wir in den kommenden Abschnitten.

 

Was ist Kultur überhaupt? – Ein Wort mit tausend Definitionen aber einem kleinsten gemeinsamen Nenner

Bevor wir über Interkulturalität und deren Bedeutung im Arbeitsleben und für Organisationen sprechen, sollten wir uns zunächst mit dem Kulturbegriff befassen. Definitionen des Kulturbegriffs sind vielfältig. Je nach wissenschaftlicher Disziplin, dem Kontext oder der Geschichtsperiode ist der Begriff durch ganz andere Merkmale charakterisiert. Für uns wesentlich interessanter als die Unterschiede ist die Frage nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner? Und den gibt es. Demnach ist Kultur ein

„erlerntes Orientierungs- und Referenzsystem von Werten, Praktiken und Artefakten, das von Angehörigen einer bestimmten Gruppe oder Gesellschaft kollektiv gelebt und tradiert wird und sie von Angehörigen anderer Gruppen und Gesellschaften unterscheidet.“ (Barmeyer 2012)

 

Freundeskreis Wanderurlaub I Quelle: canva.com

Artefakte? Referenzsystem? What?

Da (zum Glück!) nicht alle Leser*innen ein Studium der Soziologie absolviert haben, nochmal in unseren eigenen Worten: Kultur entwickelt sich, wenn eine bestimmte Gruppe von Menschen regelmäßig aufeinandertrifft. Nach einer gewissen Zeit teilt man gemeinsame Erinnerungen, man passt sich an und entwickelt gemeinsame Interessen, Werte und Verhaltensweisen sowie ein gemeinsames Verständnis über gewisse Sachverhalte, Personen oder Dinge.

Vergleichbar mit ihrem Freundeskreis. Sicherlich haben sie das Phänomen schon öfter bemerkt. Ein Mitglied Ihrer Freundesgruppe bringt den neuen Partner mit. Obwohl Sie ihn echt nett finden und er auch gut zu Ihrer Freundin passt, wirkt er erstmal wie ein Fremdkörper in Ihrem "inner circle". Er kennt die Insider-Witze nicht, er kann nicht mitlachen, wenn Sie über ein Erlebnis des letzten Wanderurlaubs erzählen. Was Sie nur ironisch gemeint haben, nimmt er hingegen ernst. Teilweise sind die Gespräche anstrengend und Sie merken meist ganz intuitiv, dass Sie Ihre Kommunikation und Verhaltensweisen etwas anpassen müssen, damit Missstimmung, Reibungen, Konflikte vermieden werden.

Aber seien Sie beruhigt: Ereignisse wie diese, sind völlig normal. Sie haben aber nicht nur damit zu tun, dass Sie eine Person erst einmal kennenlernen und mit ihr „warm werden“ müssen. Vielmehr sieht man in dieser Situation auch das Aufeinanderprallen zweier Kulturen. Das Miteinander, die Kommunikation, die Sprache, sprich die Kultur, die Sie in Ihrem Freundeskreis pflegen, ist der neuen Person fremd. Umgekehrt wäre das sicherlich auch der Fall, wenn Sie einem neuen Freundeskreis beitreten.

Welche Unterschiede auch immer Sie antreffen mögen, für den Kulturbegriff wichtig sind zwei Feststellungen: 

  1. Menschen, die der selben Kultur angehören teilen gemeinsame Erfahrungen und Orientierungspunkte und genau das unterscheidet sie von Gruppen mit anderen Kulturen.
  2. Kultur ist also nicht gleichbedeutend mit der nationalen oder Landeskultur. Vielmehr bilden sich in allen Bereichen der Gesellschaft wo Menschen zusammentreffen unterschiedliche Kulturen aus. Im Sportverein, im- Freundes und Familienkreis und auch in Unternehmen - dort sogar in den einzelnen Fachbereichen. Dazu später mehr!

Was bedeutet nun Interkulturalität und warum ist das Wissen darum für Ihr Unternehmen so wichtig?

Steigen wir gleich mit einer weiteren wissenschaftlichen Definition ein - und die hat es in sich! Barmeyer (2012) sagt: Interkulturalität ist ein

„[g]egenseitiger Prozess des Austauschs, der Interaktion, der Verständigung, der Interpretation, der Konstruktion, aber auch der Überraschung und der Irritation, ebenso der Selbstvergewisserung, der Deformation, der Erweiterung und des Wandels, der dann relevant wird, wenn Kulturen auf der Ebene von Gruppen, Individuen und Symbolen in Kontakt miteinander kommen und nicht über dieselben Wertorientierungen, Bedeutungssysteme und Wissensbestände verfügen.“

Was wir daraus mitnehmen sollten sind drei Punkte:

  1. Wir haben es immer dann mit Interkulturalität zu tun, wenn zwei Personen aus zwei unterschiedlichen Kulturen miteinander kommunizieren
  2. Dabei kommt es nicht selten zu kleineren Irritationen, Missverständnissen oder grösseren Konflikten
  3. Diese Irritationen treten auf, weil die Angehörigen der unterschiedlichen Kulturen nicht über das gleiche Wissen, die gleiche (Fach-) Sprache oder gemeinsame Erlebnisse oder Werthaltungen verfügen

 

Interkulturalität hat also etwas Dynamisches und tritt nur dann in Erscheinung, wenn zwei Kulturen miteinander in Berührung kommen. Sei es durch physischen oder digitalen Austausch. Aus dieser Schnittstelle ergibt sich noch ein vierter wichtiger Punkt, der in die Definition von Interkulturalität miteinfliessen sollte. Dabei geht es um die Entwicklung einer "Interkultur".

Kommen wir dafür zurück zum vorherigen Beispiel. Der neue Freund Ihrer Freundin sitzt nun zum dritten Mal mit an Ihrem wöchentlichen Stammtisch. Sie konnten sich also bereits beschnuppern und einige Dinge über ihn erfahren. Anfangs waren Sie besonders überrascht über die Tatsache, dass er keinen Kaffee trinkt und mit Politik, klassischer Musik und Sarkasmus nichts anfangen kann. Alles Dinge, die für Sie und Ihren Freundeskreis üblich sind. Auch er merkt, dass sie sich auf manchen Ebenen nichts zu sagen haben. Da sie beide aber nicht darum herumkommen miteinander zu kommunizieren beginnt nun ein unbewusster und meist unausgesprochener Prozess der Aushandlung. Sie nehmen sich beide ein wenig zurück und kommen auf den jeweils anderen zu. Sie vermeiden es Themen anzusprechen oder Verhaltensweisen zu zeigen, die beim anderen Irritationen auslösen könnten. So kommen Sie auf eine neue Ebene der Kommunikation. Dieses Phänomen beschreibt den Moment in dem sich aus einer Kultur A und einer Kultur B eine dritte, eine sogenannte Interkultur C entwickelt (Bolten 1992; 2015). Diese Interkultur C dient dann als gemeinsame Kommunikationsgrundlage für Angehörige der Kultur A und der Kultur B (Thomas et al. 2003).

 

Wie entstehen denn nun Fachkulturen? – Gibt es hier etwa auch eine eigene Sprache?

Wir haben bereits gesehen, dass sich Kultur nicht nur an Landesgrenzen oder Nationalsprachen festmachen lässt, sondern sie sich überall, in allen gesellschaftlichen Bereichen entwickeln kann. Im Kontext der Entwicklung von Unternehmen und der produktiven Zusammenarbeit von Teams, sollten daher auch die unterschiedlichen Fachkulturen in den Blick genommen werden. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Unternehmen einem starken externen Druck ausgesetzt waren. Regulationen, die rasante technische und digitale Entwicklung sowie erhöhte Kundenanforderungen sind nur drei Beispiele von vielen. Die Folge dieser Entwicklungen: Unternehmen haben sich nach innen ausdifferenziert. Sprich, sie haben viele kleine Fachgebiete mit speziellem Know-how ausgebildet, um den unterschiedlichsten Stakeholdern gerecht werden zu können.

Durch die tägliche Zusammenarbeit und die Kommunikation der Mitarbeitenden eines Fachbereichs, durch das gemeinsame Lösen von Problemen und einen ähnlichen fachlichen Wissensbestand, entwickelt sich eine eigene Fachkultur. Kommt es nun dazu, dass plötzlich unterschiedliche Fachbereiche an einem Thema oder Projekt arbeiten müssen oder es gilt wichtige Entscheidungen zu treffen, dann sieht man in der Praxis häufig, dass Entscheidungsprozesse viel Zeit, Ressourcen und Aushandlungsgeschick verlangen. Das kommt nicht nur daher, dass Fachbereiche unterschiedliche Interessen vertreten, sondern liegt auch darin begründet, dass es zu handfesten Verständigungsschwierigkeiten kommt. Denn ein Mitglied des Fachbereichs A interpretiert eine Information so wie es in der eigenen Gruppe üblich ist und Mitglied des Fachbereichs B wird es genauso tun. Beide orientieren sich an den Handlungs- und Verhaltensregeln der eigenen Gruppe und empfinden diese für richtig und angemessen.

Machen wir ein Beispiel:

Eine Dame weit über 80 wird mit einer Armverletzung in das Krankenhaus eingeliefert. Nach standardmässigen Tests stellt sich heraus, dass die Seniorin an einem Tumor leidet. Die Ärzte, also der Fachbereich A, plädieren sofort für einen operativen Eingriff, da die Heilungschancen bei ca. 60% liegen. Der Fachbereich B, das Pflegepersonal, rät vom Eingriff ab. Die Lebensqualität der Seniorin würde sich massiv verschlechtern und stünde in keinem Verhältnis zu den Heilungschancen und den Sorgen der Familienangehörigen. Nun schaltet sich der Fachbereich C ein. Dieser besteht aus den Jurist*innen des Krankenhauses. Für sie ist klar: Der Eingriff muss erfolgen, sonst könnte gegen das Krankenhaus wegen unterlassener Hilfeleistung geklagt werden. Die Ökonomen, sprich der Fachbereich D, prüft die Sachlage ebenfalls und stimmt der Operation zu, da diese finanziert wird (Schedler 2020, Podcast skills@home, Episode 9).

Das Beispiel illustriert hervorragend, dass jeder Fachbereich über ganz eigene Regeln, eine eigene Fachsprache, Werthaltungen, Informationen und Interessen verfügt und Sachverhalte oder Probleme auch entsprechend dieser Orientierungspunkte interpretiert. In diesem Moment also, wenn die unterschiedlichen Fachbereiche miteinander in den Austausch treten, haben wir es mit interkultureller Kommunikation zu tun.  

Das Phänomen der Interkulturalität und damit einhergehende Verständigungsprobleme, Irritationen oder Konflikte können also auch hier auftreten und kommen nicht nur dann vor, wenn die britische Kollegin in einem Meeting mit den indischen und schweizerischen Kollegen sitzt.

Wenn es um Ihre Organisation oder Ihr Team geht ist es ratsam, dass Sie das Phänomen der Interkulturalität, wie aufgezeigt, kennen. So können Sie im besten Fall Konflikten vorbeugen oder die Auslöser zumindest schnell identifizieren und geeignete Gegenmassnahmen einleiten. Natürlich verlangt dies eine gewisse Übung. Empfehlenswert ist es deshalb die interkulturelle Kompetenz Ihrer Mitarbeiterschaft zu trainieren.

Take-Aways: Infos zum Mitnehmen

Die folgenden Punkte möchten wir Ihnen nochmal als Zusammenfassung mit auf den Weg geben.

  • Kultur entwickelt sich, wenn eine Gruppe von Menschen über einen längeren Zeitraum miteinander im Austausch ist
  • Das Konzept Kultur ist nicht gebunden an Landesgrenzen oder Nationalsprachen
  • Eine Kultur zeichnet sich aus durch eine spezielle (Fach-) Sprache, gemeinsame Erfahrungen, Werthaltungen und Orientierungspunkte und Interpretationsregeln
  • Interkulturalität beschreibt den Moment, in dem die Kultur A auf Kultur B trifft. Dabei kommt es oft zu Irritationen oder Konflikten, weil man nicht die gleiche Sprache (Achtung, damit ist nicht zwingend die Nationalsprache gemeint!) spricht.
  • Um Irritationen und Konflikten vorzubeugen oder bestimmte Trigger schnell ausfindig machen zu können, ist es wichtig, dass Sie sich bewusst machen, dass an unterschiedlichen Schnittstellen in Ihrer Organisation interkulturelle Kommunikation vorkommt.

Autorin: Xiaolu Liu

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Quellen
  • Barmeyer, C. (2012). Taschenlexikon Interkulturalität (Vol. 3739). UTB.
  • Bolten, J. (1993). Life-World games: the theoretical foundation of training courses in intercultural communication. European journal of education, 28(3), 339-348.
  • Bolten, J. (2011). Unschärfe und Mehrwertigkeit: „Interkulturelle Kompetenz “vor dem Hintergrund eines offenen Kulturbegriffs. Perspektiven interkultureller Kompetenz, 55-70.
  • Bolten, J. (2015). Einführung in die interkulturelle Wirtschaftskommunikation (Vol. 4731). UTB.
  • Bundesamt für Statistik. (2020). Aufteilung der Anzahl Gruppen, Unternehmen, Beschäftigten und des Umsatzes der Unternehmensgruppen nach Art der Gruppe. URL: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/industrie-dienstleistungen/stagre.assetdetail.14961249.htm
  • Bundesamt für Statistik. (2021). Arbeit und Erwerb: Panorama 2020. URL: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/arbeit-erwerb.assetdetail.16704276.html
  • Deutsche Unesco-Kommission (Hrsg.) (1983): Weltkonferenz über Kulturpolitik. Mexiko 1982. München: Saur.
  • Fuchs, M. (2012). Kulturbegriffe, Kultur der Moderne, kultureller Wandel. Bockhorst, H.; Reinwand, 1, 63-67.
  • Jordan, S. (Ed.). (2002). Lexikon Geschichtswissenschaft: hundert Grundbegriffe (Vol. 503). Reclam.
  • Thomas, A., Kinast, E. U., & Schroll-Machl, S. (Eds.). (2003). Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kooperation: Grundlagen und Praxisfelder (Vol. 1). Vandenhoeck & Ruprecht.